Modern Agnosticisme

BIJLAGE 11

Göttingen, den 25 Mai 1925

Sehr verehrter Herr Professor!

Herr Prof. Dr. Barth beauftragt mich, Ihren sehr geschätzten Brief vom 6 Mai ds. Js. zu beantworten. Es ist ihm, wegen zu grosser Arbeitsüberlastung, im Augenblick nicht möglich, persönlich zu dem, was Sie schreiben Stellung zu nehmen. Es handelt sich ausserden in Ihrem Brief um Fragen nach den grundsätzlichen Voraussetzungen seiner Dogmatik, wie den Voraussetzungen der christlichen Dogmatik überhaupt. Ihre Beantwortung kann mit Fug und Recht wohl auch ein Dritter übernehmen. Aber lassen Sie mich gleich zu Ihrem Brief kommen:

Sie fragen zum Schluss, ob die dialektische Theologie zu einer Christologie gelangen könne, für die der historische Jesus und der überzeitliche Christus  e i n e s  W e s e n s  sind, für die wenigstens in diesem einen Falfe Zeitlichkeit und Kreatürlichkeit  n i c h t  mit Sünde identisch sind, ohne damit ihre Grundposition aufzugeben und Sie selbst meinen, die dialektische Theologie richtig verstanden zu haben, wenn Sie ihr grundsätzlich die Möglichkeit zu einer Christologie absprechen. “Denn grundsätzlich verwirft sie eben das, was im Cur Deus homo? vorausgesetzt wird, nämlich, dass Gott in der Zeit erscheinen kann”, Aus dieser Fragestellung schon ergibt sich, dass mit der Bezeichnung “dialektische Theologie” eine höchst missverständliche Charakterisierung der Theologie Karl Barth’ s versucht wird. Allzu leicht erhebt man damit implicite die Methode zum Selbstzweck der Theologie. Es liegt aber hier primär gar nichts an der Durchführung der dialektischen Methode als solcher, es liegt aber alles daran, mittels der dialektischen Aussage das Beziehungsverhältnis von Glauben und Offenbarung theologisch zum Ausdruck zu bringen – und das nicht um der Theologie willen – die Theologie ist nicht Selbstzweck! – sondern um eben dieser Beziehung von Glauben und Offenbarung willen. Es würden andere Bezeichnungen der Theologie Karl Barth’s – Offenbarungstheologie oder Schrifttheologie – den Intentionen Barth’s eher gerecht werden, als die zum mindestens missverständliche Bezeichnung seiner Theologie als “dialektischer Theologie”.

Es lässt sich nun schon von da aus sagen, dass das Problem der Theologie Karl Barth’s nicht das philosophische Problem einer gedachten, funktionalen Kluft von Zeit und Ewigkeit – Göttlichkeit und Kreaturlichkeit – ist ( in dieser Problemstellung liegt schon die Hybris!) Nur über diese gedachte, funktionale Kluft könnte freilich philosophisch gedacht und geredet werden. Und zwar lässt sie sich dann, wie Sie gezeigt haben, auf dem Wege des spekulativen oder prophetischen Denkens überbrücken (Der Unterschied ist übrigens wirklich nicht so bedeutend !) oder aber sie lässt sich als solche anerkennen, wie Sie es von der dialektischen Theologie behaupten: “sie lässt daher die Kluft eben Kluft sein und bleiben!”

Das Problem der Theologie Karl Barth’s ist vielmehr: die Offenbarung Gottes oder das Wort Gottes oder Jesus Christus. Erst von daher ist dann die Zeit als Zeit qualifiziert (in der Krisis der Ewigkeit, das  h e i s s t  Go t t e s,  s t e h e n d  b e g r i f f e n! Aber es kann nun von der eben damit enthüllten Kluft von Zeit und Ewigkeit nur geredet werden, als von ihrer Ueberwindung. (In diesem theologischen Sinne ist der Begriff der Zeit, genau wie der Begriff der Sünde ein Glaubensbegriff ‘) Das Primäre ist eben die  U e b e r w i n d u n g  des Gegensatzes, die Gnade Gottes. Aber wir können diese Ueberwindung nicht anders denken, denn als Ueberwindung des Gegensatzes. Die Anerkennung des Friedens, der höher ist als alle Vernunft, bedeutet für uns immer die grundsätzliche Erkenntnis des Unfriedens, in dem wir stehen. Aber nur von dieser  A n e r k e n nu n g  aus ist die Erkenntnis geboten. Nur von der Versöhnung aus, ist der Gegensatz, die Feindschaft zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf, zu denken. Die Theologie Karl Barth’s lässt also keineswegs “die Kluft eben Kluft sein und bleiben” . Sondern sie enthüllt von eben jener Ueberwindung der Kluft aus, von der Versöhnung in Jesu Christo aus dies en Gegensatz. Und sie tut das nicht um dieses Gegensatzes willen, sondern sie tut es als kräftigste und gläubigste Bezeugung der Ueberwindung dieses Gegensatzes. Das ist also das zentrale Anliegen seiner Theologie, die Ueberwindung des Gegensatzes von Gott und Mensch durch rücksichtsloseste Enthüllung dieses Gegensatzes zu  b e z e u gen, auf sie hinzuweisen, sie zu suchen.

Ich will Ihnen nun nicht bestreiten, dass eine dialektische Theologie, wie Sie sie in Ihrem Briefe voraussetzen, in der Christologie zu eben den Konsequenzen gelangen würde, wie Sie sie entwickelt haben. Die Theologie Karl Barth’s hat mit dieser “dialektischen Theologie” nicht zu tun. Ich versuche Ihnen Ihr Missverständnis noch einmal im besonderen an der Christologie zu verdeutlichen: Jesus, der Christus – die Offenbarung Gottes im Fleische, der in allen Stucken seinen Brüdern gleich war, ausgenommen die Sünde – das ist die Ueberwindung des offenen Gegensatzes zwischen Gott und Mensch: “Gott versöhnte die Welt mit ihm selber”, Diese Tatsache ist als solche unbegründbar. Mit der Gnade Gottes können wir nicht rechnen, als mit einem notwendigen Punkt unseres Denkens. Wir stehen nicht über der Gnade, die Gnade steht über uns. Rechnen können wir allenfalls mit dem historischen und psychologischen Faktum Jesus. “Was ab er der Historie oder der Psychologie angehört, das ist eben als solches auch verweslich”. Dass dieser Satz, oder auch der von der Sündlosigkeit Jesu, keine Leugnung der Menschheit Christi, sondern vielmehr eine Konsequenz eben dieser Voraussetzung ist: dass Gott Mensch geworden ist, dass Christus, der im Fleische geoffenbarte Logos triumphiert hat über den Gegensatz, indem historisch psychologisch betrachtet – in der ganzen Fragwürdigkeit seiner Gestalt mitten drin steht; dass er den Gegensatz Gott – Mensch = Kreatur überwunden hat, das wäre also dass, was ich Ihnen nun eigentlich verständlich zu machen hätte:

Dass dieser Mensch Jesus der Christus ist, das ist ein Glaubenssatz, der seine Begründung schlechterdings ausserhalb des Bereiches unserer Einsichten und Erfahrungen unanschaulich in sich selber trägt: “Dies ist mein lieber Sohn an welchem ich Wohlgefallen habe”, das ist die Begründung dieses Satzes.

Eine einsichtige Christologie hört und glaubt in Jesus Christus das Wort: Ich bin der Herr Dein Gott, und die Bestätigung: Dies ist mein lieber Sohn. Von da aus, von dem immer neu in aktu zu ergreifenden Jesus Christus aus, hat sie ihre Sätze zu bilden. Nicht, sofern Jesus historisch gegeben ist, ist er der Christus, sondern kraft der göttlichen Bezeugung, dass er der Sohn ist und nicht, sofern er einzusehenderweise (wir meinen das wenigstens einzusehen, die Zeitgenossen haben ihn zum Teil wirklich anders gesehen!) sündlos ist, ist er der Sündlose, das Gotteslamm welches der Welt Sünde trägt, sondern kraft der Zeugung des Heiligen Geistes in der reinen Jungfrau – oder der in der Taufe erklärten Sohnschaft. Von diesem göttlichen Zeugnis von der Offenbarung Gottes im Fleische, von Jesus Christus, der aber als solcher im Akt des Glaubens und des Gehorsams immer neu ergriffen werden muss, hat die Christologie zu handeln, – n i c h t  v o n  d e m  h i s t o r i s c h e n  J e s u s  o d e r  v o n   s e i n e r   e t h i s c h e n  P e r s ö n l i c h k e i t. (D a s  s i n d  i r d i s c h e  W i r k l i c h k e i t e n,  d i e  a l s  s o l c h e  v e r w e s l i c h  s i n d  u n d  d i e  d a r u m, u n d  w e n n  si e  u n s  n o c h  so  w e r t v o l l  s i n d,  ja  g er a d e   d a n n, p r e i s  z u  g e b e n  s i n d). Es mag Ihnen zur weiteren Klärung dienen, wenn ich Ihnen zum Schluss einfach noch mitteile, dass Karl Barth bewusst und absichtlich in seiner Christologie, wie er sie jetzt als dritten Teil seiner Dogmatik vorträgt, anknüpft an die orthodoxe Dogmatik der christlichen (reformierten!) Kirche – Jungfauengeburt – zwei Naturenlehre – munus triplex – Wie sich das aber aus den Voraussetzungen seiner Theologie im Einzelnen ergibt, das habe ich hier nicht mehr zu zeigen.

Hochachtungsvoll

(w, g.) OTTO FRICKE, Cand. Theol.

Hochverehrter Herr

Der Verfasser dieses Briefes ist ein guter und selbständiger Kenner der Dinge, die sie in Ihrem Schreiben berührt haben. Da es sich nicht nur um “meine” Theologie handelt, habe ich mir erlaubt ihn zu bitten, die Antwort zu übernehmen. Die Art, wie er es getan hat, hat meine volle Billigung. Mit der Veröffentlichung können Sie es halten, wie Sie es wünschen.

Hochachtungsvollst ergeben

Ihr

(w. g.) Prof. Dr. KARL BARTH.

Göttingen, 25 Mai 1925.

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